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Obama muss es billiger geben. Während er das Terrain pragmatisch nach Kompromissen sondiert, fühlen sich Parteilinke verraten.

Foto: epa/OLIVIER DOULIERY

Der angeschlagene US-Präsident rückt mit schnellen Schritten in die Mitte und studiert mit großem Interesse, wie sein Vorvorgänger Bill Clinton 1994 aus einem ähnlichen Popularitätstief emporgestiegen ist.

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Hinterher waren sie bester Laune, die beiden Herren in Nadelstreifen. Greg Brown und David Cote, der eine Chef von Motorola, der andere von Honeywell, strahlten übers ganze Gesicht, als sie von ihrem Gespräch im Oval Office erzählten. Spannungen mit Barack Obama? Ach was, das hätten die Zeitungen aufgebauscht. Man wisse vielmehr zu schätzen, wie sachlich man reden könne mit diesem Präsidenten, erklärten sie.

 

Es ist noch nicht lange her, da sprach Obama verärgert von "fat cats" . Abgehakt. Vor Weihnachten traf er 20 Konzernlenker zu einer vierstündigen Runde. Es ging um harmonische Gruppenbilder, den optischen Beweis einer Wende. Denn seit Monaten musste sich der frühere Jusprofessor nachsagen lassen, er verstehe das Business nicht, er sei der wirtschaftsfeindlichste Hausherr, der je an der Pennsylvania Avenue 1600 residierte. Jetzt reißt er das Ruder durch auffällige Gesten herum - ein Präsident, der mit Riesenschritten in die Mitte marschiert.

Fast grenzte es an Selbstverleugnung, wie Obama die Demokraten im Kongress drängte, nur bitte rasch ein neues Steuerpaket zu schnüren. Lange hatte er sich selbst dagegengestemmt, die Niedrigsätze der Ära George W. Bushs zu übernehmen. Zumindest die reichsten Amerikaner wollte er ab Jänner stärker zur Kasse bitten, damit die Rekorddefizite nicht wachsen und wachsen. Aus Einsicht in die neue parlamentarische Kräftebalance beugte er sich schließlich den erstarkten Konservativen, weitaus schneller, als es linken Parteifreunden lieb war. Die waren einst die Ersten gewesen, die ihn im Kandidatenduell mit Hillary Clinton unterstützten. Heute fühlen sie sich im Stich gelassen von einem Mann, den sie nicht kämpfen sehen.

Obama nimmt die Schelte in Kauf, im Stillen freut er sich wahrscheinlich über die Rebellion in den eigenen Reihen. Barack "Houdini" , wie ihn manche wegen seines Entfesselungsakts in Anlehnung an den Entfesselungs- und Zauberkünstler Harry Houdini (1874-1926) nennen, hat alle Ideologie über Bord geworfen. Er gibt den pragmatischen Macher, der den Politikstau auflösen will, selbst wenn von seiner Reformagenda nur Teile übrigbleiben. Er halte nichts von "frommen Puristen" , die sich lieber gut fühlen als den Leuten durch Lösungen helfen, sagt er.

Den Republikanern lässt er ihre heiligen Kühe, allen voran Niedrigsteuern. Die revanchieren sich mit einem Ja zu einer Novelle, nach der schwule Soldaten nicht mehr aus der Armee fliegen, wenn sie sich offen zur Homosexualität bekennen. Quid pro quo, ein Pluspunkt für die Partei mit dem Elefantenwappen, einer für die mit dem Esel: So hat es Obama im Dezember vorexerziert.

 

Es könnte sein Leitmotiv werden, ahnt der Historiker Robert Dallek. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang. "Vielleicht gewinnt er seine Autorität zurück, seine Glaubwürdigkeit als ein Politiker, der Nägel mit Köpfen macht" , meint der Professor aus Boston. "Vielleicht schießt er sich auch selbst in den Fuß, verliert seine Hausmacht und erweckt den Eindruck, dass er sich von Konservativen herumschubsen lässt."

Die Fähigkeit, in null Komma nichts die Richtung zu ändern, hat schon einmal ein Demokrat in der Machtzentrale bewiesen. Es war Bill Clinton, dessen Partei 1994 von den Wählern Prügel bezog. Danach verlegte sich Comeback-Kid darauf, Konzepte beider Lager zu neuen Formeln zu verschmelzen. Seine "Triangulation" wurde zum Modell für Tony Blairs New Labour und dritte Wege europäischer Sozialdemokraten. So konsequent Obama anfangs aus dem Schatten Clintons heraustreten wollte, so hundertprozentig kopiert er ihn heute.

Seine Pläne für 2011 klingen bescheiden, zumindest gemessen an amerikanischer Großspurigkeit. Er will Steuerparagrafen vereinfachen, die marode Infrastruktur modernisieren und den Schuldenberg abtragen. Die beflügelnde Rhetorik des Aufbruchs, die Slogans vom Klimaschutzweltmeister, das Versprechen, Guantánamo bald zu schließen - alles vergessen. Die schwierige Gesundheitsreform ist gestemmt, es geht nur noch um Jobs, Jobs, Jobs.

Obama, heißt es, nutze jede freie Minute, um nachzulesen, wie Clinton es hinbekam, aus dem Popularitätstal zu klettern. Neulich, im Pressebunker des Weißen Hauses, überließ er dem ergrauten Vorvorgänger sogar das Podium, verbunden mit der launigen Bemerkung, dass er Ärger bekomme, wenn er First Lady Michelle nach Feierabend noch länger warten lasse. "Hätten wir fünf Prozent Wachstum, könnten wir uns einen texanischen Showdown eventuell leisten" , dozierte der Altpräsident. Bei einer fragilen Konjunktur seien schmerzhafte Deals allemal besser als lähmender Stillstand. Es klang wie ein Marschbefehl für die nächsten zwei Jahre.  (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2009)